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Donnerstag, 11. Aug. 2022

Wittenberg: Antisemitismus in Stein gemeißelt

Inschrift: „Gottes eigentlicher Name / der geschmähte Schem Ha Mphoras / den die Juden vor den Christen / fast unsagbar heilig hielten / starb in sechs Millionen Juden / unter einem Kreuzeszeichen.“ Psalm 130: „Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir“.

Schon lange sorgt eine besonders drastische antisemitische Darstellung für Streit. An der Stadtkirche der Lutherstadt Wittenberg findet sich gut sichtbar die sogenannte „Judensau“, ein Sandsteinrelief aus dem 13. Jahrhundert. Es zeigt Männer mit spitzen Hüten, Juden, die an den Zitzen eines Schweins saugen. Ein Rabbiner hebt den Schwanz des Tieres hoch. Darüber ist „Rabini Schem Hamphoras“ zu lesen, was eine Bezeichnung für Gott ist.

Zuletzt hat der Bundesgerichtshof entschieden, die Plastik müsse nicht entfernt werden. „Die Beklagte [Kirchengemeinde] hat den jedenfalls bis zum 11. November 1988 bestehenden rechtsverletzenden Zustand aber dadurch beseitigt, dass sie unter dem Relief eine nach den örtlichen Verhältnissen nicht zu übersehende, in Bronze gegossene Bodenplatte mit der oben dargestellten Inschrift enthüllt und in unmittelbarer Nähe dazu einen Schrägaufsteller mit der Überschrift "Mahnmal an der Stadtkirche Wittenberg" angebracht hat, der den historischen Hintergrund des Reliefs und die Bronzeplatte näher erläutert“, heißt es im Urteil. So sei aus dem Schandmal laut Bundesgerichtshof ein Mahnmal zum „Zwecke des Gedenkens und der Erinnerung an die jahrhundertelange Diskriminierung und Verfolgung von Juden bis hin zur Shoah“ geworden und man habe sich so von der judenfeindlichen Aussage distanziert.

Der Text auf der Bodenplatte verbindet die Inschrift der Schmähplastik mit dem Holocaust: "Gottes eigentlicher Name / der geschmähte Schem Ha Mphoras / den die Juden vor den Christen / fast unsagbar heilig hielten / starb in sechs Millionen Juden / unter einem Kreuzeszeichen.“ Dazu steht in hebräischer Schrift der Beginn von Psalm 130: „Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir“.

 

Luthers Judenfeindschaft

 

Damit möchte sich Andreas Nachama, Rabbiner des House of One, nicht zufriedengeben. Der hierfür einberufene Beirat zur Weiterentwicklung der Stätte der Mahnung, dem auch Nachama angehört, hat empfohlen, die Schmähplastik abzunehmen. Das Relief soll nicht mehr im öffentlichen, sondern in einem geschützten Raum gezeigt werden. So könne eine Art Lernraum innerhalb des Stadtkirchenensembles Wittenberg entstehen.

Andreas Nachama sagt mit kritischem Blick auf die ihm zugedachte Rolle: „Ich habe den Eindruck, man möchte jüdische Stimmen zum Umgang mit der Sauskulptur an der Wittenberger Stadtkirche haben, die das alles nicht so schlimm finden, um es so zu belassen, wie es ist.“ Den Rabbiner stört zudem, die Begründung der christlichen Seite, eine Abnahme des Reliefs käme einem Bilderverbot gleich. „Für Juden bedeutet Bilderverbot allein das Verbot der Abbildung Gottes. Christen aber missbrauchen den Begriff. Wer wollte es den Christen verbieten, weiterhin ihre 2000-jährige Tradition der antijüdischen Polemik zu pflegen. Sie sollten sich selbst davor ekeln.“

Die bereits erwähnte Inschrift „Rabini Schem HaMphoras“, wurde 1570, fast 300 Jahre nach Fertigung der Darstellung und somit nach der Lutherschen Reformation hinzugefügt. Die Bezeichnung spielt auf eine Buchstabenspekulation der Kabbala an und gilt als Name Gottes.

Im Deutschen Pfarrblatt schrieb Friedhelm Pieper, Pfarrer und wie Nachama im Präsidium des Deutschen Koordinierungsrats der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit, dazu:

„Luthers Judenfeindschaft ist so in der Skulptur der Wittenberger Kirchensau seit Jahrhunderten sichtbar in Stein gemeißelt. Wenn ich diese Verhöhnung des Gottesnamens sehe, ist mir unverständlich, wie heute in der Wittenberger Stadtkirche Gottesdienst gefeiert und das Vaterunser gebetet werden kann. Ich kann es nicht. Ich kann nicht in der Stadtkirche zu Wittenberg „Geheiligt werde Dein Name“ beten, solange an deren Außenmauer die Verhöhnung und Verachtung des Gottesnamens weiterhin in Stein gehauen ist.“

 

Schmähplastik als Beleidigung

 

Noch immer halten es viele für möglich, die Plastik könne letztendlich an der Kirchenmauer belassen werden. Zuletzt hatte sich der Direktor der LutherMuseen, Stefan Rhein, für den Verbleib des Reliefs ausgesprochen. "Es ist Teil der Geschichte und sollte deshalb auch dor bleiben", wird Rhein auf den Seiten von Domradio zitiert.

Andreas Nachama befürchtet, es könne am Ende heißen, es sei eine touristische Attraktion und stünde unter Denkmalschutz. „Und wahrscheinlich auch, dass bei dieser Problemlösung doch auch Juden mitgewirkt haben. Wie nett…“, sagte Nachama.

Nach und nach ändert sich manche Position auf der christlichen Seite. Wittenbergs Pfarrer Alexander Garth etwa ist inzwischen auch für die Entfernung. Im Gespräch mit dem House of One sagte Garth kürzlich: „Die jüdische Stimme ist für mich hier die wichtigste.“ Es handele sich um eine Schmähplastik, eine üble Beleidigung aller Juden und ihrer Religion. „Es ist schreckliche Gotteslästerung. Sowas gehört einfach nicht an eine Kirche.“

Ende August kommt der Gemeindekirchenrat zu seiner nächsten Sitzung zusammen und dort wird der Umgang mit dem Kunstwerk der wichtigste Tagesordnungspunkt sein.

Dem vom Gemeindekirchenrat berufenen Beirat gehörten neun Vertreterinnen und Vertreter der evangelischen Kirche, des Judentums und des Landes Sachsen-Anhalt an. Unter ihnen waren neben Rabbiner Nachama, der auch der Allgemeinen Rabbinerkonferenz vorsitzt, auch der Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland, Johann Hinrich Claussen.

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